Besuchszeit
Ich wünsche mir
Gefühle in der Coronazeit von pflegenden Angehörigen
Ich wünsche mir
Ich wär‘ so gerne mal allein.
Ich will mein Herz, die Seele zwingen
der Vögel Lieder mitzusingen,
möchte mit mir im Reinen sein.
Ich will die Ohren fest verschließen,
will meine Stimme wieder hören,
nicht die Vergangenheit beschwören.
Ich will die Einsamkeit genießen!
Ich wünsche mir für kurze Zeit
den freien Lauf meiner Gedanken.
Dann, ohne Grenzen, ohne Schranken
kehr ich zurück zur Wirklichkeit!
Brigitte Samson 04.06.2020
Zusammen gegen Corona: Corona und pflegende Angehörige
Am 18.06.2020 gab es einen Livestream mit Gesundheitsminister Jens Spahn zum Thema
Zusammen gegen Corona: Corona und pflegende Angehörige.
Frau Cardinal und ich haben uns zu dieser Sendung mit einem schriftlichen Beitrag beteiligt. Lesen Sie hier den Artikel. Über den beigefügten Link gelangen Sie zur Aufzeichnung der Sendung.
Beitrag zum Livestream "Zusammen gegen Corona: Corona und pflegende Angehörige"
Hamburg, 17.06.2020
Ich bin Brigitte Samson und leite gemeinsam mit Frau Gabriele Cardinal drei Gruppen für Angehörige von Menschen mit Demenz. Wir haben diese ehrenamtliche Tätigkeit übernommen, nachdem unsere Partner, die an Alzheimer Demenz erkrankt waren, gestorben sind. Unser Anliegen war und ist, die Angehörigen zu begleiten und zu unterstützen, ihnen zuzuhören, ihre Probleme zu erkennen und zu bündeln und sie durch den Austausch in einer Selbsthilfegruppe Stärkung erfahren zu lassen.
Als in der Coronakrise die Gruppentreffen nicht mehr möglich waren, haben wir durch regelmäßige Telefonate und Rundbriefe den Kontakt zu den Angehörigen aufrechterhalten. Es wurde auch unser Angebot von Einzeltreffen wahrgenommen, so dass wir sehr gut über die aktuellen Probleme für die pflegenden Angehörigen, die durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie entstanden, informiert sind.
Seit dem 15.06.2020 dürfen sich die Gruppen der Alzheimer Gesellschaft wieder treffen. Um diese Treffen durchführen zu können, müssen selbstverständlich neben dem Konzept der Alzheimer Gesellschaft auch die umfangreichen Bestimmungen des jeweiligen Raumanbieters eingehalten werden. Bis heute haben wir unser Angebot ausschließlich im Freien stattfinden lassen. Herausragende Themen seit der Coronakrise für alle Angehörigen sind:
- die Schließung von Tagespflegeeinrichtungen
- die Streichung von stundenweiser Betreuung außer Haus
- die Streichung von häuslichen Betreuungsangeboten
- die Dauerbelastung durch die 24 Stunden Pflege und Betreuung
- das Wegfallen sozialer Kontakte in der Nachbarschaft
- die Entfremdung der eigenen Familie durch Isolation,
- wegen eigener Zugehörigkeit zu der Risikogruppe „ALT“
- das Gefühl von Bevormundung
- die Aussage: „Der älteren Generation, sowohl den Erkrankten als auch den pflegenden An-
- gehörigen sei die Einschränkung des persönlichen Freiraumes am Ehesten zuzumuten, weil sie als Kriegsgeneration bereits darauf trainiert sei, Entbehrungen auszuhalten.“
Vor Ausbruch der Coronakrise haben die pflegenden Angehörigen gerne Angebote wie die Tagespflege, die stundenweise häusliche- sowie außer Haus Betreuung in Anspruch genommen. In dieser Zeit konnten Termine, zum Beispiel Arzt- oder Friseurbesuche, Fußpflege u.s.w. wahrgenommen werden, ohne den Erkrankten mitnehmen und auch dort beaufsichtigen zu müssen. Nicht zu unterschätzen ist auch eine kleine Auszeit, um sich einmal auf sich selbst besinnen und Kraft schöpfen zu können.
Die Schließung der verschiedenen Einrichtungen hat die Angehörigen hart getroffen. Je länger die soziale Quarantäne der älteren Menschen anhielt, desto größer wurden die körperlichen und seelischen Beschwerden der pflegenden Angehörigen. Die Aufgabe der Dauerbetreuung wurde zu- nehmend zur Belastung. Kleine Auszeiten zum sich Besinnen und Luft holen gab es fortan nicht mehr. Die sich aufstauenden Aggressionen konnten nicht zeitnah abgebaut werden. Teilweise waren Schlafstörungen, Unzufriedenheit bis hin zur Wut die Folge.
Konnte vielfach noch auf die Unterstützung der eigenen Kinder gezählt werden, so fiel dieses flach, weil der Kontakt von Jüngeren (zum Teil in systemrelevanten Berufen tätig) verboten war. Das wurde auch so durch die Kinder kommuniziert.
Die Dementen hatten teilweise Angst vor den mit Nase-Mundmaske ausgestatteten Pflegkräften, Ärzten oder Angehörigen. Es ist die Angst, von Maskierten überfallen zu werden. Selbst die eigenen Kinder wurden nicht mehr erkannt und offen abgelehnt. Diese Situationen waren für die pflegenden Partner besonders belastend, weil deren Kontakt zu den Kindern von der dementen Per- son als Verrat oder Paktieren ausgelegt wurde. Damit wurde quasi der eigene Kontakt zu den Kindern unterbunden und nur noch heimlich möglich. Zunehmend fühlten sich die Angehörigen iso- liert, allein gelassen und bevormundet. Die Doppelbelastung durch die 24 Stunden Pflege und Be- treuung und die Isolation aufgrund der Zugehörigkeit zur Risikogruppe „Alt“ ist eine auf Dauer nicht zu stemmende Last.
Die Älteren empfinden die Spaltung der Gesellschaft in Alte und Junge als ungerecht, als eine Art Bestrafung.
Die aus dem osteuropäischen Ausland kommenden Pflege- Betreuungskräfte mussten in ihre Heimatländer zurückkehren oder eine lang andauernde Quarantäne durchmachen. Geld, das die Pflegekassen für die Inanspruchnahme der Tagespflege zur Verfügung stellt, dürfen nicht zum Zweck der Bezahlung von Einzelbetreuung verwendet werden. Dadurch kam es auch noch zu zusätzlichen finanziellen Einbußen. Unsere Erwartung ist, dass die den Erkrankten zustehende Betreuung außerhalb der Häuslichkeit schnellstens wieder möglich ist.
Es kann nicht sein, dass selbst schwerstpflegebedürftige Kinder mit einem Status der „eins zu eins Betreuung“ in integrativen KITA s betreut werden und dieses Recht nicht auch für ältere Menschen umgesetzt wird.
Ein ganz großes Problem ist auch, dass der medizinische Dienst bei einem Antrag auf Höherstufung des Pflegegrades nicht mehr ins Haus kommt. Es wird nach Aktenlage entschieden. Meist liegt die letzte Beurteilung Monate oder gar Jahre zurück. Die Veränderungen sind also nicht schriftlich vom medizinischen Dienst erfasst. Eine Beurteilung der aktuellen Lage ist somit gar nicht möglich. Bei Widerspruch wird dann ein Gutachter beauftragt. Das hat unweigerlich Kosten zur Folge. Zu den Belastungen der täglichen Sorge um den zu Pflegenden kommen so auch noch vermeidbare behördliche Hindernisse. Bitte schaffen Sie das ab.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Samson
[email protected]